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Mitteilung vom 15. Juli 2009Schleswig-Holsteinischer Landtag 117. Sitzung Mittwoch, 15. Juli 2009 – Unkorrigiertes Stenografenprotokoll – Es gilt das gesprochene Wort
Einführung einer Schuldengrenze in der Landesverfassung – Klage gegen die Verankerung der Schuldenregelung für die Länder im Grundgesetz
Vizepräsidentin Frauke Tengler:
Ich erteile für die Landesregierung Herrn Finanzminister Rainer Wiegard das Wort.
Rainer Wiegard, Finanzminister:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal ist es ja gut, wenn man Reden hält und nicht schreibt, denn so schnell kann man sie gar nicht umschreiben, wie man sie halten muss. Insofern möchte ich sehr deutlich sagen, Herr Kollege Weber, weil wir beide ja im Koalitionsausschuss vertreten waren, dass für uns Regel vor Klage gilt. Sie hingegen wollten Klage ohne Regel. Wir nehmen jetzt zur Kenntnis, dass Sie dieses Meinungsbild ändern. Das ist gut so.
(Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin aber auch über andere Entwicklungen, Wendungen nicht nur erstaunt, sondern auch erfreut. Das betrifft, Herr Kollege Hentschel, die Entwicklung, die Sie gemacht haben. Es ist schon bemerkenswert, in welcher Weise Sie hier verfassungsrechtliche Regeln einfordern, die Sie in den neun Jahren, in denen Sie an der Regierung beteiligt waren, regelmäßig nicht eingehalten, sogar gebrochen haben.
(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal Ihre Reden durch! Das ist peinlich, was Sie hier erzählen!)
Herr Kollege Hentschel, ich begrüße ja diese positive Entwicklung, aber stelle fest: Sie haben es in den Jahren 1996 bis 2005, als Sie hier die Regierungsverantwortung getragen haben, in keinem Jahr geschafft, die Kreditaufnahme kleiner zu halten als die Investitionen und den Vermögensverzehr. Deshalb ist es ja gut, dass Sie jetzt auf diesen Weg kommen. Aber wir müssen schon an die Geschichte erinnern dürfen.
(Beifall bei CDU und FDP)
Herr Kollege Kayenburg, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie durch die Verbindung Ihrer beiden Anträge sehr deutlich gemacht haben, worauf es ankommt: Wenn man das eine tut, muss man vorher das andere auch tun, nämlich in der Verfassung klar regeln, wie wir künftig mit Neuverschuldung umgehen. Eine Klage gegen die Verfassungsregeln im Grundgesetz kann nicht für sich allein stehen, denn wenn sie Erfolg hätte, was ja in breiten Teilen des Hauses vermutet wird, dann würden wir, wenn wir nicht eine eigene Verfassungsregel in unsere Verfassung aufnähmen, ohne eine solche dastehen. Das wäre kontraproduktiv. Das ist nicht gewollt.
Ich persönlich darf hinzufügen, dass es für mich ohnehin fraglich ist – das hat jetzt nichts mit dem rechtlichen Rahmen zu tun – , ob staatliche Organe das Recht haben, in beliebiger Höhe und auf unabsehbare Zeit heute noch nicht geborene Generationen mit Schulden zu belasten, um damit den heutigen Lebensstandard zu finanzieren.
(Beifall bei CDU, SPD und FDP)
Deshalb ist es gut, dass wir mitten in dieser politischen Weichenstellung stehen. Es geht um die zentrale Frage, ob wir es wirklich ernst meinen damit, unseren Kindern, Enkeln und eben denen, die es noch nicht gibt, tragfähige, belastbare öffentliche Haushalte zu hinterlassen, oder ob wir, wie eben dargestellt, unseren heutigen Lebensstandard – nur darum geht es ja im Zweifel – auf deren Kosten einrichten.
Nicht das künftige Verbot, immer wieder neue Schulden auf die bestehenden draufzupacken, treibt uns in den Ruin, sondern die Summe der bereits vorhandenen Schulden und deren Folgen haben uns der eigenen Handlungsmöglichkeiten beraubt.
Im vergangenen Jahr hat Schleswig-Holstein fast 1 Milliarde € Zinsen für alte Schulden und noch einmal 1 Milliarde € für Pensionsleistungen finanziert. Das bedeutet, 2 Milliarden € von den 7 Milliarden €, die wir insgesamt an Einnahmen zu verzeichnen haben, also knapp 30 %, haben wir für die Vergangenheit verwendet, nicht für Zukunft, nicht für Kinder, nicht für Familien, nicht für Bildung, nicht für die Verbesserung der Infrastruktur, um daraus künftigen Nutzen zu ziehen.
Die Schuldengrenze, die wir entweder in der Verfassung des Bundes zu akzeptieren haben oder in die Verfassung des Landes hineinschreiben müssen, lässt ab 2020 – ich glaube, da gibt es Einvernehmen – die Aufnahme von Krediten in konjunkturellen Normallagen nicht mehr zu. Das ist auch der Inhalt Ihres Antrages, Herr Kayenburg.
Mit der Verpflichtung auf diese gemeinsame Regel erhalten finanzschwache Länder, darunter Schleswig-Holstein, entsprechende Konsolidierungshilfen. Auch darüber haben wir hier mehrfach miteinander gesprochen. Für Schleswig-Holstein macht das neun Jahre lang jährlich 80 Millionen € Konsolidierungshilfe aus. Das ist nach unserer Auffassung kein hinreichender Ausgleich für die strukturelle Finanzschwäche unseres Landes bei gleichzeitig völlig identischem Aufgabenkatalog der Länder. Mehr war derzeit nicht zu erreichen, übrigens auch deshalb, weil die bisherigen Hilfen an strukturschwache Länder, die es seit den frühen 90er-Jahren in Deutschland gibt, nicht entsprechend eingesetzt worden sind, nämlich eben zur Reduzierung der Schuldenlast, sondern für viele andere Aufgaben. Es liegt an uns, in dem uns zur Verfügung stehenden Zeitraum den entsprechenden Nachweis zu bringen, dass das hier geschieht. Insofern müssen wir im Rahmen der weiter gehenden Verhandlungen über einen neuen Länderfinanzausgleich an dieser Stelle weitere Möglichkeiten eröffnen.
Der von uns vorgeschlagene Altschuldentilgungsfonds wäre nach unserer Auffassung ein noch besserer Schritt gewesen, weil er beinhaltete, dass in dem gleichen Zeitraum, in dem dieses Schuldenpaket aufgebaut worden, dieser durch Tilgung auch wieder abgebaut wird. Das war im Konsens von Bund und 16 Ländern nicht durchsetzbar, auch wegen der Erfahrungen in der Vergangenheit.
Weil der Kollege Stegner vorhin gesagt hat, es gebe bezüglich des Altschuldentilgungsfonds ein Erfinderrecht, möchte ich den Unterschied deutlich machen. Der Kollege Stegner hat 2003 oder 2004 keinen Altschuldentilgungsfonds, sondern einen Altschuldenfonds vorgeschlagen. Da ging es nämlich darum, die bestehenden Schulden, die aufgelaufenen Schulden beiseite zu stellen und nur noch den Zinsdienst zu leisten.
Ich sage erneut zu diesem Vorschlag, den wir auch in der Diskussion im Rahmen der Föderalismuskommission II gehört haben: Ich glaube nicht, dass die Schulden der Vergangenheit von so großer Bedeutung sind, dass man sie für die Ewigkeit betonieren muss und nur noch die Zinsen zu bedienen hat, sondern dass wir daran arbeiten müssen, die Schulden, die in zwei Generationen aufgebaut worden sind, in zwei Generationen wieder abzubauen. Das wird unsere Aufgabe sein.
(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb ist es gut, meine Damen und Herren, dass wir uns jetzt wohl im Wesentlichen auf ein paar Kernpunkte verständigen können. Ich habe große Hoffnung, dass wir in der Lage sind, das, was an landesspezifischen zusätzlichen Regelungen erforderlich ist, schaffen zu können, nämlich für die Bremse. In der Verfassung verankern wir ja nur die Grenze, also dass wir keine Schulden machen, oder wenn, dann unter ganz bestimmten Bedingungen. Aber wir müssen auch den Weg dahin organisieren, und das ist die Bremse. Dabei, diesen Bremsweg zu organisieren – das ist bei einigen auch hier in den Redebeiträgen angeklungen -, wird viel Gummi auf der Straße bleiben. Da haben wir noch viel zu tun. Deshalb sollten wir jetzt dringend unsere Schularbeiten machen, diese landesspezifischen Regeln erarbeiten und gleichzeitig über die verfassungsrechtlichen Grundlagen sehr sorgfältig miteinander reden. Dazu gibt es Gelegenheit, wenn wir die Anträge von Herrn Kayenburg an die entsprechenden Ausschüsse überweisen.
(Beifall bei der CDU)
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